Imperatore, Strandräuber und Schelmin – Unveröffentlichte Briefe von Else Lasker-Schüler

Brief von Else Lasker-Schüler an Paul Cassirer und Tilla Durieux, o.J., Akademie der Künste, Berlin, Tilla-Durieux-Archiv, Nr. 682

„So bleiben Sie gut dem Strandräuber von Theben Jusuf.“ Mit diesen Worten beschließt die Lyrikerin Else Lasker-Schüler einen Brief an das befreundete Ehepaar Tilla Durieux und Paul Cassirer und illustriert ihn mit einem ihrer berühmten Jusuf-Köpfe. „Jusuf“ oder „Jussuff“, Prinz von Theben, ist der Nom de Plume der Dichterin, mit dem sie in ihrer Prosa und in ihrem Alltag gleichermaßen präsent ist. In ihrem Roman Der Malik. Eine Kaisergeschichte tritt diese Verbindung deutlich hervor, indem die Autorin in ihrem Königreich Theben sowohl ihre lebenden als auch im Ersten Weltkrieg verstorbenen Freunde vereint.1

Else Lasker-Schüler und Tilla Durieux zählen zu den schillerndsten Künstlerinnen der Berliner Bohème. Ihre Ehepartner Herwarth Walden und Paul Cassirer sind bedeutende Galeristen dieser Zeit. Während die Lyrikerin sich als expressionistische Literatin etabliert, erlebt die Schauspielerin 1903 als Salomé ihren künstlerischen Durchbruch und wird zu einer der bekanntesten Bühnendarstellerinnen. Ihr Dasein ist nicht nur von der eigenen künstlerischen Tätigkeit bestimmt, sondern auch von einem tiefen Kunstverständnis für neue Literatur und Malerei dieser Zeit. In ihren Freundeskreisen ist das Who’s who des Kunstgeschehens der Weimarer Republik vertreten. „Else liebte P.[aul] C.[assirer]“, vermerkt die Durieux in ihren Memoiren Eine Tür steht offen, „und überschüttete ihn mit Briefen. Ich muß aber gerecht sein, anzuerkennen, daß sie mich nicht als notwendige Folge ihrer Schwärmerei haßte.“2 Lasker-Schüler bezeichnet die Schauspielerin in ihren Briefen immer wieder als „Schelm im Geben“, etwa, wenn sie sich für finanzielle Zuwendungen bedankt. Cassirer wird oft „Imperatore“ genannt. Ihre Wertschätzung gilt beiden gleichermaßen. Doch in diesem Brief schlägt sie auch kritische Töne in der Beschreibung ihres Mäzens und Verlegers an, wenn sie „etwas Gutes“ sagen möchte. „Wie Paul Cassirer verschiedenartig hin und gegenfließt ist elementar. Er ärgert sich selbst über eigene Belehrungen und wird den Primaner nicht los.“ Offenbar verhandelt Else Lasker-Schüler mit ihm über die Veröffentlichung ihrer Werke. „Daß Sie als Ehrensache betrachten, meine Bücher in Ihren Verlag zu nehmen, weiß ich und macht mich stolz.“ Ihre gesammelten Werke in zehn Bänden erscheinen von 1919 bis 1920 im Verlag Cassirer. 3

Das unveröffentlichte, wohl 1919 entstandene Autograf entstammt wie andere Briefe der Dichterin dem Teilnachlass von Durieux aus ihrem Exilort Zagreb, der vor kurzem von der Akademie der Künste mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder erworben wurde. Die neu entdeckte Briefreihe zwischen Else Lasker-Schüler, Paul Cassirer und Tilla Durieux erweitert nun als Zeugnis künstlerischer und freundschaftlicher Verbundenheit der Avantgarde in der „kreisenden Weltfabrik“ 4 Berlin das Tilla-Durieux-Archiv. Lasker-Schüler schreibt darin über ihr Leben, ihre Dichtungen, bedankt sich für finanzielle Zuwendungen und bewundert Tilla Durieux’ Schauspielkunst. Die Schriftstellerin bringt ihre Verehrung verschiedener Künstler:innen nicht nur in Briefen zum Ausdruck, sondern auch in Form lyrischer Künstlerporträts. So auch für Tilla Durieux im Jahr 1920. Ein von Else Lasker-Schüler handschriftlich überarbeitetes Typoskript dieses Gedichtes über die Schauspielerin befindet sich ebenso im Tilla-Durieux-Archiv. 5 Auch ein Essay mit dem Titel „Tilla Durieux“ reiht sich zu den Schriftstücken der Huldigung, darin schreibt sie über Durieux’ Ankunft auf einem Sezessionsfest: „Prangende Schlichtheit, geschmeidiger Charme, in ihrem Herzen blühen feine Nerven schmerzvoll auf. Aber als es Mitternacht war, tanzte sie, auf einer Perle des Sekts rollend, mit leuchtenden Augen im bunten Spiele der Masken.“ 6 Tilla Durieux wiederum trifft Else Lasker-Schüler in einem der Künstlerlokale der Berliner Avantgarde: „Im ,Café des Westens‘, dem Sammelplatz der talentierten und untalentierten Boheme, konnte man die merkwürdigsten Erscheinungen sehen. […] Unter ihnen die Auffallendste: Else Lasker-Schüler. Sie war unbestreitbar ein großes Talent und illustrierte ihre Geschichten und Gedichte in ungewöhnlicher Weise.“ 7


1) Heidrun Loeper (Hg.), Else Lasker-Schüler. Die kreisende Weltfabrik. Berliner Ansichten und Porträts, Berlin 2012, fortan Loeper 2012, S. 102.

2) Tilla Durieux, Eine Tür steht offen. Erinnerungen, Berlin 1965, fortan Durieux 1965, S. 108. Im fragmentarischen Typoskript der wohl ersten Fassung ihrer Memoiren schreibt sie: „[…] muß aber gerecht sein, anzuerkennen, daß sie mich nicht als notwendige Folge ihrer Schwärmerei haßte, sondern mich mit einem wirklich schönen Gedicht über mich beschenkte und mit einigen kleinen Artikelchen, die jeweils in den Zeitungen erschienen.“ Akademie der Künste, Berlin, Tilla-Durieux-Archiv, Nr. 716, S. 180.

3) Antje Birthälmer (Hg.), Else Lasker-Schüler. „Prinz Jussuf von Theben“ und die Avantgarde (Ausst.-Kat. Von der Heydt-Museum Wuppertal), Wuppertal 2019, S. 35.

4) Else Lasker-Schüler, Die kreisende Weltfabrik, in: Loeper 2012, vgl. Anm. 1, S. 76f.

5) Akademie der Künste, Berlin, Tilla-Durieux-Archiv, Nr. 694.

6) Else Lasker-Schüler, Tilla Durieux, in: Loeper 2012, vgl. Anm. 1, S. 38f.

7) Durieux 1965, vgl. Anm. 2, S. 107. Im fragmentarischenTyposkript ihrer Memoiren bezeichnet Tilla Durieux Else Lasker-Schülers Illustrationen als „ulkig“. Akademie der Künste, Berlin, Tilla-Durieux-Archiv, Nr. 716, S. 178.

Autorin: Katja Weingartshofer, Archivarin im Archiv Darstellende Kunst der Akademie der Künste, Berlin.

Erschienen in: Journal der Künste 21, November 2023, S. 64-65