Der Niedergang der 
ruhmreichen Armee – eine Satire 
Schadows über Napoleon

Johann Gottfried Schadow, La Retraite de la Renommée, 1813.
Aquarell über Feder in Braun und Pinsel in Grau auf Velin, 15,4 × 39,3 cm

Berlin vor 200 Jahren. Im Winter 1813 erreicht die von französischen Truppen besetzte Stadt die Nachricht, dass die Grande Armée geschlagen und Napoleon aus Russland geflüchtet ist. Versprengte Soldaten ziehen zerlumpt, ausgezehrt und geschunden durch Berlin. Ihr Anblick macht das Grauen und Elend des verlorenen Krieges offenbar. Der Nimbus der unbesiegbaren Eroberer, die halb Europa beherrschen, scheint dahin. Vertrieben durch russische Kosaken müssen sie im März 1813 die preußische Hauptstadt endgültig verlassen. Als Reaktion formiert sich die Gegenwehr. Preußen und Russland schließen einen Freundschaftsvertrag. Am 17. März erscheint der Appell An mein Volk, in dem der preußische König zum Kampf gegen Napoleon aufruft. Die bisher unterdrückte Kritik an der französischen Herrschaft wird laut und bricht sich Bahn. Spott und Hass auf die Besetzer entladen sich in bissigen Satiren, die rasche Verbreitung finden.

Auf Wunsch des Verlegers Caspar Weiß entwirft Johann Gottfried Schadow im April 1813 zwei Karika-turen auf Napoleon und seine Armee: La Retraite de la Renommée (Der Rückzug der Berühmtheit) und Le Déjeuner à la Fourchette (Das Gabelfrühstück). Einen Monat später liegen sie bereits im Druck vor, der im Gegensatz zu den Vorlagen ironische Kommentare enthält. Die pointierten Satiren zeigen Schadow als virtuosen Zeichner und treffsicheren Karikaturisten und unterscheiden sich dadurch merklich von der großen Zahl einfacher Spottbilder, die zu dieser Zeit Konjunktur haben. In detaillierten Momentaufnahmen und eindrucksvollen Figurenstudien schildert er Anspruch und Wirklichkeit der napoleonischen Armee. Seine drastische Bildersprache entlarvt den Hochmut und Dünkel des geschlagenen Feldherrn, von dem die französische Kriegspropaganda noch im Dezember 1812 verlautet, dass „die Gesundheit Sr. Majestät nie besser war“. Die persönlichen Erfahrungen des Künstlers spielen bei der Entstehung durchaus eine Rolle. Als Berliner Bürger und Hausbesitzer leidet Schadow nicht nur unter den hohen Kriegskontributionen, er erfährt in seinem Wohn- und Atelierhaus hautnah, was die Einquartierung französischer Truppen bedeutet. Auch muss er erleben, wie seine Quadriga als Kriegstrophäe vom Brandenburger Tor demontiert und nach Paris verbracht wird.

La Retraite de la Renommée zeigt die Flucht des Kaisers aus Russland. Spannungsvoll und bissig inszeniert Schadow die skurile Bildergeschichte, wobei die Hauptpersonen eher beiläufig eingeführt werden. Inmitten einer schemenhaften Winterlandschaft steht ein merkwürdiger Pferdeschlitten, ein hölzerner Trog auf Kufen, der einer Sarghälfte nicht unähnlich ist, und den zahlreiche, schon durch Habitus und Kleidung komisch wirkende Personen umgeben. Ein Schild weist nach Posen, in das von den Franzosen als barbarisch und unkultiviert charakterisierte Polen, von dessen Wohlwollen nun die Flucht abhängt. Davor verhandelt ein Offizier in gold-betresster Paradeuniform mit einem in Pelze gehüllten polnischen Fuhrmann über die Weiterfahrt. Trotz Körpergröße und Kostümierung wird klar, wer hier die Entscheidungsgewalt hat. Napoleon ist am rechten Rand nur in Rückansicht zu sehen, aber durch Figur und Zweispitz unzweifelhaft erkennbar. Mit energischer Geste verlangt er, dass die Fahrt weitergeht. Ein kläffendes Hündchen an seinen Fersen, laut Bildunterschrift die Stimme des Volkes, ignoriert er. Flankiert wird der Kaiser von seinem getreuen Leibmameluken Roustam Raza und einem Gardesoldat. Ihre Mimik macht deutlich, wie tragikomisch die Situation ist. Höhepunkt der satirischen Szenerie ist Madame Renommée, deren Kopfputz die Farben der Trikolore schmücken. Als Allegorie auf den Niedergang der ruhmreichen Armee stürzt sie bei einem Fehltritt des kaiserlichen Maultiers. Lorbeer und Fanfare liegen zerstört auf der Erde und das hochgerutschte Kleid enthüllt nackte und ungewohnte Tatsachen: Die ruhmreiche Grande Armée liegt geschlagen am Boden. Die französische Bildunterschrift wird noch deutlicher. Die „Berühmtheit“ kommt in die Wechseljahre. Die Soldaten in ihrer Umgebung ignorieren jedoch diese Botschaft und blicken ostentativ in andere Richtungen. Unbekümmert zieht ein posierender Infanterist sein Lorgnon und blickt gelangweilt in die Ferne.

Das Pendant Le Déjeuner à la Fourchette zeigt die zersprengten Reste der kaiserlichen Armee bei ihrem grausamen Kampf um das Überleben. Zwei zerlumpte Soldaten haben aus den Trümmern eines Armeewagens ein Feuer gemacht, in dem ein Pferdeschädel brät. An Bajonetten rösten sie im Feuer zwei Ratten und einen Hund, während zwei Soldaten mit Frauenröcken und Strohschuhwerk gegen die Kälte kämpfen und an mageren Knochen nagen. Ihre Kameraden reagieren mit angewiderter Grimasse, was sie aber nicht daran hindert, selbst ein Pferd zu tranchieren.

Bei beiden Werken handelt es sich um herausragende Beispiele für Schadows zeichnerisches Schaffen. Die seltenen Karikaturen befanden sich bisher in Privatbesitz und wurden in diesem Jahr in einer Berliner Auktion angeboten. Das Blatt La Retraite de la Renommée konnte für die Kunstsammlung der Akademie erworben werden. Der Ankauf wurde durch eine großzügige Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Kulturstiftung der Länder möglich. Das Gegenstück wird künftig im Metropolitan Museum of Art in New York verwahrt.

Die Neuerwerbung ist eine wichtige Ergänzung der Kunstsammlung. Von Johann Gottfried Schadow, dem Begründer der Berliner Bildhauerschule und prägenden Bildhauer des Klassizismus, sind zwar wichtige plastische Werke und mit über 1.200 Zeichnungen der mit Abstand umfangreichste Bestand an Arbeiten auf Papier überliefert. Bislang gehörten dazu allerdings keine Karikaturen. Diese Lücke konnte nun geschlossen werden.

Autor: Werner Heegewaldt, Direktor des Archivs der Akademie der Künste, Berlin.

Abbildung: Johann Gottfried Schadow, La Retraite de la Renommée (Der Rückzug der Berühmtheit), 1813.
Die 1813 bei Gaspare Weiß und Comp. Berlin entstandene Druckfassung enthält eine Bildlegende in französischer Sprache, die das Geschehen ironisch kommentiert (von links nach rechts in deutscher Übersetzung): Beobachtung und Nachdenken | Die Berühmtheit
kommt in die Wechseljahre | Fehltritt des kaiserlichen Maultiers | Eskorte der leichten Kavallerie | Kader eines in Aussicht gestellten Infanterie-Regimentes | Das unheilvolle Gefährt | Exzellenz und Dienstbarkeit | In Ägypten ist es zu warm, in Russland zu kalt | In Rückansicht | Volkes Stimme | Hoffnung

Erschienen in: Journal der Künste 05, Januar 2018, S. 38-39