30.5.2017, 10 Uhr

Erzählpartnerschaft „Our Stories – Rewrite the Future” #6: Katerina Poladjan

Das aktuelle Literaturprojekt der Akademie der Künste, „Our Stories – Rewrite the Future“, bringt junge Geflüchtete mit deutschsprachigen Autorinnen und Autoren zusammen. Gemeinsam entwickeln sie Geschichten, die auf den Berichten der Geflüchteten basieren. Nach Ralph Hammerthaler, Kerstin HenselLarissa Boehning, Hammoud Hamoud und Senthuran Varatharajah berichtet heute die Schriftstellerin Katerina Poladjan, was die Erzählpartnerschaft für sie bedeutet:

 

Die Zukunft überschlägt sich. Die Zukunft überschreibt sich.
Als ich gefragt wurde, ob ich an einem Projekt teilnehmen wolle, das sich mit seinem Titel zum Ziel gesetzt hat, die Zukunft neu zu schreiben, war mein erster Gedanke: Endlich! Ich kann etwas tun, ich darf Menschen, die die Odyssee einer Flucht durchgestanden haben, sei es über das Meer, sei es durch diese oder jene Stadt, eine Stimme leihen, kann ihre Geschichten in die Welt tragen, vielleicht sogar dorthin, wo Taub- und Blindheit herrschen. Vielleicht sogar dorthin, wo man aufgehört hat, nach historischer und ethischer Verantwortung zu fragen.

Zukunft neu schreiben, das kann nur möglich sein, wenn man sich Herkunft und Vergangenheit vergegenwärtigt. Die Visionen einer düsteren Zukunft kann nur überschreiben, wer sich erinnert.

Vielleicht werden wir uns auf Spurensuche begeben, vielleicht uns durch Berge und Täler von Biografien arbeiten, vielleicht bis zur Erschöpfung, vielleicht bis zu einem Moment, an dem wir denken werden, war das alles ein Traum? Ein Alptraum?

Ich werde zuhören dürfen, auf Geschichten von der Herkunft lauschen, von den Gerüchen des Morgens und den Geräuschen des Abends, von der Angst und der Hoffnung, vom Klang der zurückgelassenen Sprache. Vielleicht werde ich die Geschichte meiner eigenen Flucht erzählen, mich erinnern, aus der Erinnerung vielleicht verstehen, vielleicht verstanden werden, vielleicht Hoffnung auf eine neue Sprache geben.

Vielleicht werden wir nur Tee trinken, über das Lieblingsbuch oder den Lieblingsfilm sprechen, ein Lieblingslied singen. Sollten wir schweigen, wird auch das richtig sein.

Die Geschichten derjenigen, die ihre Heimat verlassen mussten oder wollten, werden immer ihre eigenen Geschichten bleiben. Aus welcher Perspektive die Geschichten auch erzählt werden, durch welchen Mund oder welche Feder sie sich verbreiten, niemand kann sie ihnen nehmen, und sie werden immer sicher und unsicher zugleich sein. […]

Katerina Poladjan

 

Das vollständige Statement von Katerina Poladjan können Sie in der zweiten Ausgabe des Journals der Künste nachlesen.

 

Katerina Poladjan wurde 1971 in Moskau geboren, kam als Kind nach Deutschland und lebt heute in Berlin. Sie schreibt Romane, Theatertexte und Essays. 2011 erschien ihr vielgelobter Debütroman In einer Nacht, woanders. 2014 erhielt sie das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste, Berlin, und das Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung. 2015 war sie Finalistin beim Alfred-Döblin-Preis. Im selben Jahr erschien Vielleicht Marseille, im Herbst 2016 Hinter Sibirien (zusammen mit Henning Fritsch).

Veröffentlichungen:
Die Bergsteigerin. In: Ziegel 10 - Hamburger Jahrbuch für Literatur 2006/2007, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 2006/2007.
Dann laufen wir. In: „Perlen vor die Säue“ (Reihe) 2008.
In einer Nacht, woanders. Rowohlt, Berlin 2011.
Vielleicht Marseille. Rowohlt, Berlin 2015.
Hinter Sibirien. Eine Reise nach Russisch-Fernost (mit Henning Fritsch). Rowohlt, Berlin 2016.

 

Das Projekt „Our Stories – Rewrite the Future“ wurde initiiert von Larissa Boehning. Es wird gefördert vom Deutschen Literaturfonds.