1973

René Graetz

Der Bildhauer und Zeichner René Graetz gehört wie der befreundete Theo Balden, mit dem er in Kanada als Kriegsgefangener inhaftiert war, zu einer durch die klassische Moderne geprägten Künstlergeneration. Er verkehrt in Henry Moores Atelier und verehrt Pablo Picasso, bewegt sich selbst in expressiver Manier zeitlebens zwischen Figuration und Abstraktion. Nach 1945 folgt er einer sozialistischen Ideologie, um die faschistische Vergangenheit und die kapitalistischen Strukturen überwinden zu können. Ziel ist nach sozialistischen Utopien die Errichtung einer gleichberechtigten Gesellschaft, die widerständig ist gegen doktrinäre kunstpolitische Restriktionen. In Szenerien voller Chiffren und Sinnzeichen aus verschiedenen Epochen setzt er seine bildhaften Ideen in freiem farbigen Klang um.

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Das Werk des Bildhauers und Grafikers René Graetz, getragen von humanistischer Parteinahme, fantasievoll und formbewusst, bereichert unsere Kunst und unser Leben.“ (Auszug Begründung)

Die Sektion Bildende Kunst schlägt vor, den Bildhauer und Grafiker René Graetz mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 1973 auszuzeichnen.

René Graetz gehört zu jenen Künstlern der DDR, deren Werke weit über die Grenzen der Republik hinaus bekannt sind. Als künstlerischer Autodidakt hat er sich in zähem Ringen das Rüstzeug des Bildhauers und Grafikers erarbeitet. Die Freude am Experiment, sicher in dieser Pioniersituation geboren, ist durchgehendes Charakteristikum seiner realistischen Werke. Der Grundgestus des Gesamtwerkes von René Graetz ist die Verurteilung des Krieges und das Lob des Friedens.

In seinen Stelen für die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, in seiner Gruppe für die Gedenkstätte Sachsenhausen, in dem Denkmal Nikos Beloyannis’ gestaltet René Graetz den opferreichen Kampf der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, dabei selbst in den Niederlagen die Gewissheit des zukünftigen Siegs andeutend.

In einer Reihe neuerer plastischer Arbeiten – von der Badenden bis zur kleinplastischen Gruppe Geschwister – wendet sich Graetz dem Ausdruck resoluter Lebensfreude zu, deren Vitalität er nicht ohne Ironie gestaltet.

In seiner Grafik hat René Graetz zu einem schlichten Duktus gefunden, der vielen Blättern den Charakter einer spontanen und heiteren Mitteilung gibt. Oft verdichtet der Künstler dabei das Thema friedvollen Lebens zu einem Symbol – zur Blumensonne, zur Welle oder zum aus der eigenen Asche aufsteigenden Phönix. Diese poetischen Zeichen sind von so unmittelbarer Wirkung, dass sie in der Phantasie des Betrachters weiterleben und ihm als freundlich-ermutigende Wegmarken, Zielpunkte oder Gleichnisse seines Lebens dienen können.

Das Werk des Bildhauers und Grafikers René Graetz, getragen von humanistischer Parteinahme, fantasievoll und formbewusst, bereichert unsere Kunst und unser Leben.

Laudatio, vorgetragen von Herbert Sandberg anlässlich der Preisverleihung am 29. März 1973:

René Graetz ist zwar im Sommer geboren, aber wenn ich mir eine männliche Verkörperung des Frühlings vorstelle, so könnte es durchaus René Graetz sein. Immer aktiv, immer was Neues planend und meistens optimistisch.

Das ist der erste Grund, warum ich mich freue, zum Frühlingsbeginn die Laudatio für den diesjährigen Käthe-Kollwitz-Preisträger halten zu dürfen. Dieser Preis ist ja auch eine Art Aktivistenabzeichen für einen bildenden Künstler, und deshalb gebührt er dem Aktivisten Graetz vollkommen zu Recht. Graetz ist aber nicht nur ein toller Arbeiter als Bildhauer und Grafiker, er war ja auch ein echter Arbeiter bevor er Künstler wurde. In Genf ging er in die Lehre als Tiefdrucker, und 1929 bekam er seiner guten Leistungen wegen ein Engagement nach Kapstadt, als Monteur zur Einrichtung einer Tiefdruckerei. Hier begann schon seine politische Arbeit für einen gesamtafrikanischen Kongress und mit der Gewerkschaft der Schwarzen Seeleute. Das gefiel den Nazibehörden nicht, denn er war ja Deutscher. Eigentlich ist er ein Zufalls-Berliner. Er wurde nämlich auf einer Reise seiner Eltern von Danzig in die Schweiz in einem Berlin-Schöneberger Krankenhaus geboren. Seine Mutter war eine Italienerin, eine Waschfrau, sein Vater Deutsch-Russe, aktives Mitglied der russischen sozialdemokratischen Partei uns außerdem noch Lithodrucker, der nach der Revolution von 1905, wie viele andere, in die Schweiz flüchtet.

Auch René Graetz musste emigrieren. Er wurde zwangsläufig zu einer Art Weltenbummler. 1939 ging er von Kapstadt nach der Schweiz, denn nach Paris und später nach London, wo er 1940 interniert und anschließend von dort nach Kanada deportiert wurde. Hier im Lager begegnete er deutschen Antifaschisten und Kommunisten. Und hier eigentlich erst wurde Graetz zum Künstler. Zwar hatte er als Autodidakt schon in Südafrika gezeichnet und modelliert, aber erst im Kontakt mit den anderen deutschen Genossen, so mit Theo Balden, schuf er eine Art Gruppe und Kunstschule. 1941 ging es aus dem Internierungslager zurück nach London, wo er aktiver Mitarbeiter des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes wurde. 1943 gestaltete er im Auftrage der Kommunistischen Partei Deutschlands, der er dann 1944 beitrat, die große politische Ausstellung „Allies Inside Germany“ („Unsere Verbündeten in Deutschland“), die die Geschichte und den Kampf der Antifaschisten in Deutschland aufzeigte, die er in den großen Zentren Englands auch aufbaute.

Als er 1946 nach Deutschland kam – er kam mit seiner irischen Frau Elisabeth Shaw hierher, weil er an den Brennpunkt des internationalen Klassenkampfes gehen wollte, weil er mithelfen wollte am Aufbau eines sozialistischen Deutschlands –, als er also nach einer Zufalls-Heimatstadt Berlin zurückkam, arbeitete er erst drei Jahre im Verlag Volk und Wissen an einer Art Wandzeitung für Schulen und vermittelte Kenntnisse über die Geschichte der Revolutionen.

Graetz, und das ist der zweite Grund, weswegen ich mit Freude diese Worte für ihn und zu ihm spreche, Graetz ist ein Stürmer und Dränger, wie wir ihn in unserer Kulturrevolution unbedingt brauchen. Das war er eigentlich schon, als er den ersten Farbstift in die Hand nahm – und der war aus Lehm. In Kanada war es im Internierungslager. Von den amerikanischen Künstlern bekamen Graetz und seine Freunde Pulverfarben, die René mit Hilfe von Lehm zu Pastellstiften verwandelte. Damit schuf er, Aktivist wie immer, 50 über einen Meter große Pastellbilder und stellte sie dort aus. Er ist ein ausgesprochener Glücksvogel, dass ihm sowas so schnell zur Hand ging, aber auch wieder ein bisschen Pechvogel, denn die Reinigungskolonne hielt die Bilder für haltbarer als sie waren und vernichtete mit einem Wasserschlauch die vielversprechenden Anfänge eines vielleicht bedeutenden Pastellmalers.

Ich weiß nicht, ob das der tiefenpsychologische Grund dafür war, dass Graetz sich in London einem festeren Material zuwandte und zu modellieren begann. Jedenfalls war er es, der die erste Plastik eines Freiheitskämpfers in der DDR schuf, das Standbild von Nikos Belojannis (1956), der heute noch stolz erhobenen Hauptes im Hofe der Hochschule für Ökonomie in Karlshorst steht. Doch zuvor, im Jahre 1949, war seine erste künstlerische Arbeit, das große Wandbild für die 2. Deutsche Kunstausstellung in Dresden „Stahlwerk Henningsdorf“, in Gemeinschaft mit Arno Mohr, Hermann Bruse und Horst Strempel. Heute noch schwärmt er von dem großartigen Kollektivgeist bei dieser Arbeit. Er arbeitete offensichtlich gern im Kollektiv und bekam 1958 den Nationalpreis im Kollektiv der Schöpfer des Buchenwalddenkmals, für das er die kämpferischsten Stelen schuf. Auch die Hauptgruppe des Mahnmals in Sachsenhausen stammt von ihm. Und inzwischen hat er vor ein paar Jahren (in Zusammenarbeit mit Helmut Diehl) eines unserer besten keramischen Großwandbilder in Halle-Neustadt geschaffen. Daneben noch viele originelle keramische Teller und unzählige Grafiken.

Ich weiß, Graetz ist wohl etwas überrascht darüber, dass er jetzt den Käthe-Kollwitz-Preis bekommt und meint, er wäre gar nicht genug bekannt dafür. Es stimmt, im Verhältnis zu dem Umfang seines Werkes, sowohl des bildhauerischen, wie des grafischen, ist er viel zu wenig gezeigt; doch kennen ihn die Kunstinteressierten genau, und er verdient mit vollem Recht eine solche Auszeichnung. Vielleicht wird sie sogar Anruf und Mahnung sein, sein außerordentlich umfassendes Werk einmal einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen.

Aller guten Dinge sind drei. Und das ist der dritte Grund, weswegen ich froh bin, diese Laudatio sprechen zu dürfen: Graetz ist ein wirklicher Neuerer, wie er einem sozialistischen Staat gemäß ist. Er begnügt sich nicht mit dem Plan, eine Rosa-Luxemburg-Statue zu schaffen, er versucht auch immer wieder und in den verschiedensten Techniken, neue Formen und neue Möglichkeiten zu finden. Zuletzt hat er sich wieder ein halbes Jahr ernsthaft mit der Serigrafie, der Siebdrucktechnik, auseinandergesetzt; jetzt bemüht er sich um den Foliendruck. Doch was auch immer er anpackt, es kommt ihm darauf an, die Tradition zwar nicht zu verlassen, doch auch nicht in ihr stehenzubleiben, nicht das Althergebrachte zum zwanzigsten Male neu aufzuwärmen. Und deswegen soll er mit Stolz und Genugtuung diesen Preis in Empfang nehmen, der den Namen der bedeutendsten deutschen Künstlerin trägt. Einer Künstlerin, die auch neue Wege suchte, aufbauend auf der großen Tradition der realistischen Grafik.

Auf Vorschlag der Sektion Bildende Kunst hat das Präsidium der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik des diesjährigen Käthe-Kollwitz-Preis an den Bildhauer und Grafiker René Graetz vergeben.