1992

Lothar Böhme

„Lothar Böhme hält fest am Kanon seiner einsamen Figur“, schreibt sein Freund, der Kunsthistoriker Roland März anlässlich seines 70. Geburtstags im Jahr 2008. Böhmes „konzentriertes Malen an der Einzelfigur dauert an. Doch das Motiv des weiblichen Aktes wird immer mehr verlassen zugunsten der elementaren Definition von Malerei: Volumen – Fläche – Raum. Der ursprüngliche Malakt ist wichtiger geworden. Die kompromisslose Malerei Lothar Böhmes, die sich stets fernhielt von ideologischer Verkrümmung, muss sich heute weder aufrichten noch ‚wenden‘, sie ist einfach da und steht in ihrer malerischen Kompaktheit als vitale Tatsache im Raum. Aus dem Zeittunnel der Jahre lässt der Maler [...] seine lange aufgestauten, dunklen Geschöpfe mit geballter Wucht in das Licht der Öffentlichkeit treten.“

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Lothar Böhmes Akte, seine Stillleben, seine Plastiken und [...] seine Blicke über die Dächer sind eben auch Bilder aus einer Zeit, in der die Menschen so ratlos und bedrängt waren – und sind!“ (Auszug Laudatio)

Die Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste zu Berlin hat in einer Sitzung am 11.3.1992 beschlossen, den Käthe-Kollwitz-Preis 1992 dem Berliner Maler Lothar Böhme zuzuerkennen. Lothar Böhme, Jahrgang 1938, studierte an der Meisterschule für das Kunsthandwerk (Grafikklasse) in Berlin-Charlottenburg von 1957 bis zum Mauerbau 1961, verdiente seinen Lebensunterhalt durch Arbeiten für Messen und Ausstellungen und ist seit 1981 freiberuflich als Maler tätig.

Seine Malerei, fast ausschließlich dem Thema Akt und Stillleben verpflichtet, leistete einen ganz eigenwilligen, originären Beitrag bei der Überwindung nachimpressionistischer Konventionen in der Ost-Berliner Malerei; von Lob nicht verführt und von der Ablehnung offizieller Kunstinterpreten nicht beeindruckt. Unbeeindruckt also treibt Böhme seine Kunst zu immer dichter, schärfer werdenden Formulierungen, welche, von vielen Kunstinteressierten bewundert, vor allem auf die jüngeren Künstler in Ost-Berlin in den letzten Jahren einen prägenden Einfluss ausüben, der nicht zuletzt durch seine noble, warmherzige und dennoch unbestechliche Art seiner Sicht auf Kunst und Leben für viele ein dauerhafter sein wird.

Die Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises 1992 an den Maler Lothar Böhme ehrt einen Künstler, dessen Bedeutung weit über das Regionale hinausreicht und setzt eine gute Tradition der Akademie der Künste zu Berlin würdig fort.

Laudatio, vorgetragen von Manfred Butzmann im Rahmen der Preisverleihung am 23. Juli 1992:

„Archaische, fast barbarische Frauenkörper sind’s, deren lehmartige erdhafte Tonigkeit an die urige prometheische Erschaffung des Menschen erinnert, ebenso urhaft und unmittelbar gemalt; da stehen sie denn, diese Körper in der Dämmerung des Seins, unschuldig schemenhaft, ausgeliefert den Mächten, aber groß und gewaltig in Ihrer Menschlichkeit und eigentlich doch nicht zerstörbar. Der große Schatten kam über sie, und sie müssen bleiben.
Im selben weichenden Licht scheinen auch die Äpfel auf dem Tisch, die Schüsseln, die Krüge, ebenso die Dächer, die Häuser, die Bäume, die Himmel.
Alles im letzten Licht vor der Dunkelheit des Lebens, einmal noch glüht alles auf, der letzte stumme Augenblick vor der großen Schwärze. Doch alles hat die nötige Kraft und die Wärme von Menschen, dass man glauben kann an die Bewährung im Dunkel und an den Morgen danach.“

Das hat vor zehn Jahren der 1986 gestorbene Maler Joachim Völkner über Lothar Böhmes Bilder geschrieben. Ich empfinde vieles fast genauso und kann nichts Treffenderes sagen; deshalb habe ich diesen Text vorgelesen.

Es ist mir eine Freude, dass auf der Einladung zur Verleihung des diesjährigen Käthe-Kollwitz-Preises als Absender die „Berliner Akademien der Künste“ genannt werden. Von zwei Akademien eingeladen zu werden ist eben eine besondere Ehre. Auch wenn sich zwei Akademien entschließen, gemeinsam einen Preis zu vergeben, ist das etwas ganz besonderes. Diese neue Gemeinsamkeit hätte ich mir noch einige Zeit lang gut vorstellen können.

Jetzt soll aber aus finanziellen und somit auch aus politischen Gründen schnell zusammenwachsen, was so viele Berührungsängste voreinander hat.
Der Austritt der Bildenden Künstler aus der Westberliner Akademie war auch politisch kein Machtgewinn, wie manche besonders Machtbewusste wohl glauben wollten, sondern ein mächtiger Verlust für den Einfluss der Akademie überhaupt. Gerade aus diesem Grunde wünsche ich mir Ausstellungen, die die Werke der neuen Mitglieder und die der Ausgetretenen gemeinsam zeigen. Man wird dann sehen, dass sich auch einander Berührendes finden wird. Die Ausstellungsreihe der Ostberliner Akademiegalerie, die immer Gäste zu ihren Ausstellungen eingeladen hatte, wäre hierfür ein entwicklungsfähiges Prinzip. Dann könnte man nebeneinander sehen, was vielleicht gut nebeneinander existieren kann. Die Bewährung auf dem Kunstmarkt kann ja wohl nicht der Maßstab dafür sein, wer in die Akademie gehört!

Die Aufgabe einer heutigen Akademie ist meiner Meinung nach gerade nicht, sich dem Maßstab des Kunstmarktes anzupassen. Sie muss einen eigenen Maßstab haben; sie muss sich einmischen – mit Vorschlägen, Wettbewerben, mit der Auswahl der Meisterschüler, mit Protesten – und mit der Vergabe von Kunstpreisen. Schon die Wahl eines Preisträgers ist mit Auseinandersetzungen verbunden – das tut gut, weil das klärt – und erklärt, warum welcher auf den vorjährigen folgt.
Bis zu einem gewissen Grad ist die Wahl des neuen Preisträgers so etwas, wie die Korrektur der Vorjahresentscheidung. Denn in der Reihe der Preisträger ist Programm und Wandlung ablesbar. So ist für mich nachvollziehbar, wieso nach Butzmann jetzt Böhme kommen musste; und ich freue mich darüber, dass es so ist! Weil es mir zeigt, dass auch beharrliche Arbeit am Bild als Reaktion auf die Zeit, auch als Einwirkung auf die Zeit, in der man lebt, verstehbar ist.

Lothar Böhmes Akte, seine Stillleben, seine Plastiken und ab und zu seine Blicke über die Dächer sind eben auch Bilder aus einer Zeit, in der die Menschen so ratlos und bedrängt waren – und sind!
Sicher wird er das schon bestreiten, weil das zu viel Inhalt wäre. Ihm ginge es ja nur um das Bild.

Doch wer so viele Jahre seinen Weg gegangen ist, ohne, dass er nach dem Ende dieses Weges gefragt hat, muss etwas zu sagen haben – mit seinen Bildern.

Danksagung von Lothar Böhme:

Ich möchte mich zunächst für diesen Preis bedanken.
Ich nehme ihn gern entgegen, ist er doch mit dem Namen Käthe Kollwitz verbunden, dieser großen Künstlerin, die ich verehre.
Die Monumentalität und Ausdruckskraft ihrer Arbeiten habe ich immer bewundert.

Bitte erwarten Sie von mir nicht die üblichen Bekenntnisse über das Schöpferische –
Gestatten Sie einige Bemerkungen eher allgemeiner Art.

Um Kunstpreise herum ist in letzter Zeit viel Merkwürdiges zu registrieren.
Das hat etwas zu tun mit dem Politischen.

Das Politische beeindruckt mich in meiner Arbeit nur wenig.

Es gibt einen Satz von Henry Moore, den ich schon sehr früh verinnerlicht habe.
Er lautet:
Der Staat hat in Fragen der Kunst nicht mitzureden, da er nicht weiß, was im Kopf des Künstlers vorgeht.

Die Konsequenzen, die sich aus dieser Wahrheit praktisch ergeben halte ich für normal.

Die Freiheit der Kunstäußerung ist nun offiziell, sogar fast garantiert.

Die eigentlich berührenden Dinge bleiben weiterhin im Dunkel – um das Irrationale braucht man nicht bangen.

Jetzt höre ich, mit Bildern ist es überhaupt vorbei ...

Das Befrachten der Malerei mit außerkünstlerischen Erwartungen ist mit der untergegangenen DDR nicht mit verschwunden.

Die Interpretation – oder noch aktueller – die Inszenierung anstelle des Kunstwerkes.

Gegen diese Verschiebung vom Eigentlichen weg haben sich die Antikörper in mir schon lange entwickelt.

Ich denke, dieses Rechteck Leinwand verdient es weiterhin ernst genommen zu werden.

Ich möchte diese schöne, wenn auch anstrengende Methode Tagebuch zu führen nicht missen.

Anlässlich einer Ausstellung meiner Bilder im Studio des Alten Museum stellte Roland März in einem Gespräch die Frage:

Bei den Figurenbildern fällt die Reduktion auf eine liegende, sitzende und stehende Einzelfigur auf. –
Gibt es eine Barriere auf dem Wege zur Paar- oder Gruppenfiguration?

Ich habe geantwortet:
Diese Barriere gibt es durchaus, sie entsteht aus meiner Abneigung dem Szenischen und der damit verbundenen Inhaltlichkeit gegenüber.

Ich habe hinzugefügt:
Das kann sich ändern und dann entsteht eine neue Theorie.

Außerhalb meines Ateliers verändert sich nun sehr viel, meine Abneigung dem Szenischen gegenüber hat sich eher verstärkt.

Ich werde mich auch weiterhin bemühen, meine Figurenbilder aneinanderzureihen.